Dame mit Fadenschiffchen
Giuseppe Tresca
Giuseppe Tresca, von dem man nur wenige signierte Werke kennt, malte dieses Bildnis einer jungen Frau in der Mitte der 1780er Jahre. Sie stützt ihren rechten Arm auf der Marmorplatte eines geschnitzten Tisches ab, während ihr linker lockerherabhängt. In ihrer rechten Hand hält sie ein Fadenschiffchen, das zum Klöppeln und Weben verwendet wurde. Ihr violett-weißes Kleid ist mit einemgelben Band gegürtet und mit Rosen verziert. Ihren Kopf wendet sie leicht zur Seite, blickt den Bildbetrachter aber aufmerksam an.
Der komplizenhafte Ausdruck der Dame deutet an, dass sie dem Bildbetrachter und ursprünglichen Adressaten der Miniatur etwas mitteilen will. Sie bedient sich dafür eines Attributs, des Fadenschiffchens. Eine legendäre Liebende, die sich während deslangen Wartens auf ihren Liebsten der Handarbeit widmete, war Odysseus’ Gemahlin Penelope, und es liegt nahe, dass der Künstler hier auf diese anspielte. Die Königstochter webte an einem langen Gewebe, das sie nachts stets wieder auftrennte. Ihr unermüdlicher Fleiß sollte Heiratsbewerber, die Odysseus längst für tothielten, davon abhalten, allzu aufdringlich zu werden, was ihr auch gelang. Ihr Mann kehrte tatsächlich erst nach zwanzig Jahren vom Krieg in Troja und den anschließenden Irrfahrten nach Hause. Durch ihre Standhaftigkeit gilt Penelope als Musterbeispiel der treuen Gattin. Eine spezielle Bewandtnis hat vermutlich auch das gelbe Band, das die Dame um ihren Bauch trägt, und das in dieser Art nicht zum Kleid gehört. Sie drückt damit vermutlich aus, dass sie nicht frei ist, sondern ihrem geliebten Mann gehört.1
B.P.